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Die unentgeltlichen Zuwendungen (libéralités) im französischen Recht

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Einleitung


Das französische Zivilrecht unterscheidet seit dem Code civil von 1804 zwei große Kategorien von libéralités: die donation entre vifs (lebzeitige Schenkung) und die libéralité à cause de mort (Verfügung von Todes wegen). Beide dienen dem unentgeltlichen Vermögensübergang, stehen jedoch unter streng formalen und materiellen Schranken: dem Schutz der réserve héréditaire zugunsten naher Angehöriger und der Kontrolle der Formenstrenge. Für deutsche, österreichische und schweizerische Staatsangehörige mit Vermögen in Frankreich bedeutet dies, dass sowohl die Gestaltung lebzeitiger Schenkungen als auch die Errichtung von Testamenten den zwingenden französischen Regeln genügen müssen – es sei denn, eine wirksame Rechtswahl greift. Ziel dieses Beitrags ist es, in deutscher Sprache eine systematische Gesamtschau der libéralités im französischen Recht zu bieten, ohne in steuerliche Detailfragen einzusteigen.



1 Begriffsbestimmung und Systematik


Artikel 893 ff. Code civil definiert die libéralité als „Rechtsgeschäft, durch das der Erblasser oder Schenker die unmittelbare oder zukünftige Übertragung eines Vermögensvorteils ohne Gegenleistung zugunsten eines Begünstigten erklärt“. Damit werden sämtliche unentgeltlichen Zuwendungen, ob unter Lebenden oder von Todes wegen, erfasst.

Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Familienpflicht – Die französische Rechtsordnung garantiert einerseits das individuelle Recht, über das eigene Vermögen frei zu verfügen, andererseits schützt sie die nächsten Abkömmlinge (Kinder, vertreten gegebenenfalls durch Nachkommen) und – ersatzweise – Eltern durch die zwingende réserve héréditaire. Nur die quotité disponible bleibt der vollen Testier‐ und Schenkungsfreiheit überlassen.



2 Die réserve héréditaire und die quotité disponible


Der Gesetzgeber ordnet die Höhe der Reserve nach Zahl der Abkömmlinge (Art. 913 f. C. civ.):

  • ein Kind: ½ Nachlass = Reserve, ½ frei verfügbare Quote

  • zwei Kinder: ⅔ Reserve, ⅓ frei verfügbares Vermögen

  • drei oder mehr Kinder: ¾ Reserve, ¼ frei verfügbare Quote


Fehlen Abkömmlinge, steht nach Art. 914‐1 jedem Elternteil ein Reservatsteil von ¼ zu. Die verbleibende Quote darf frei verschenkt oder vermacht werden, doch jede Überschreitung löst die action en réduction aus, d. h. eine gerichtliche Kürzung überschießender Schenkungen oder Vermächtnisse. Im Unterschied zum deutschen Pflichtteilsrecht entsteht in Frankreich ein Realanspruch auf Herausgabe von Gegenständen oder Miteigentumsquoten, nicht bloß ein Geldanspruch.



3 Die donation entre vifs


3.1 Formvorschriften


Gemäß Art. 931 C. civ. muss jede nicht manuelle Schenkung in Form eines notariellen Aktes vor zwei Notaren oder vor einem Notar in Gegenwart zweier Zeugen erfolgen. Fehlt die Form, ist das Rechtsgeschäft absolut nichtig – eine spätere Heilung durch Erfüllung kennt das französische Recht nicht. Ausnahmen:

  • Donation manuelle (Handschenkung): Übergabe beweglicher Sachen oder Geldes, sofortige Tradition genügt.

  • Présent d’usage (Gelegenheitsgeschenk): Anlässlich besonderer Ereignisse, im Rahmen sozial üblicher Maßstäbe; keine notarielle Form nötig.


3.2 Materielle Voraussetzungen


Die donation entre vifs ist ein vertragliches Rechtsgeschäft: Einseitige Erklärung des Schenkers – Annahme des Beschenkten, letztere formlos. Die Schenkung ist grundsätzlich unwiderruflich (Art. 894 C. civ.), außer

  1. schwerer Undank des Beschenkten (Art. 955 f.),

  2. Nichterfüllung auferlegter Bedingungen (charges),

  3. Geburt bzw. Adoption eines Kindes beim Schenker (Rückforderungsrecht).


3.3 Sonderformen


  • Donation-partage (Art. 1075 ff.) – vorweggenommene Erbteilung, häufigster Baustein französischer Vermögensplanung. Sie ermöglicht den Eltern, das Vermögen unter lebenden Kindern aufzuteilen und dabei den Pflichtteil endgültig zu erfüllen.

  • Donation avec réserve d’usufruit – Eigentumsübergang, aber Vorbehalt des Nießbrauchs zugunsten des Schenkers. Populär bei Immobilien, um die Nutzung oder Mieteinnahmen lebenslang zu sichern.

  • Clause de retour conventionnel – Vereinbarung eines Rückfalls, falls der Beschenkte vor dem Schenker verstirbt.



4 Libéralités à cause de mort


4.1 Testament


Frankreich kennt drei Testamentsformen:

  • Holographisches Testament (Art. 970) – vollständig handschriftlich, datiert, unterschrieben.

  • Authentisches Testament (Art. 971–972) – Diktat vor zwei Notaren oder einem Notar und zwei Zeugen.

  • Mystisches Testament (Art. 976–981) – verschlossen übergeben, vom Notar „versiegelt“, kaum noch genutzt.


In der Praxis dominieren das holographische Testament (schnell, kostenfrei) und das authentische Testament (höchste Sicherheit, automatische Registrierung im FCDDV).



4.2 Vermächtnis (legs) und Auflage (charge)


Das legatoirde Vermächtnis ist eine libéralité graduelle: Der Erblasser weist einem Legatar einen bestimmten Gegenstand oder Geldbetrag zu, der Erbe muss die Zuwendung erfüllen. Auflagen verpflichten den Empfänger zu Handlungen (Grabpflege, Unterhaltszahlung). Ein Verstoß kann Unterlassungs‐ und Rückforderungsansprüche auslösen.



4.3 Paktische Verfügungen (pactes sur succession future)


Anders als Deutschland erlaubt Frankreich in beschränktem Umfang Erbverträge. Durch die Reform von 2006 sind jetzt Pakte zugunsten auch noch nicht eingetretener Erbfälle zulässig, etwa die renonciation anticipée à l’action en réduction: Kinder verzichten vorab auf ihren Reservatsanspruch, üblicherweise um dem überlebenden Ehepartner größere Freiheit zu lassen. Notarielle Beurkundung und richterliche Genehmigung (bei Minderjährigen) sind Pflicht.



5 Beschränkungen zugunsten Gläubiger und Ehepartner


Schenkungen können Gläubiger gemäß Art. 1167 C. civ. mittels Paulianischer Anfechtungsklage (action paulienne) rückgängig machen, wenn sie betrügerisch ihre Befriedigung vereitelten. Ehepartner profitieren von der récompense im Güterstand: Hat ein Ehegatte Gemeinschaftsgut verschenkt, schuldet er der Masse einen Ausgleich.



6 Anrechnung früherer Schenkungen im Erbfall


Alle Schenkungen, sofern nicht ausdrücklich als hors part successorale tituliert, werden bei der Gleichstellung der Erben angerechnet (Art. 867 f.). Der Notar wendet die Formel valeur au jour du partage an: Marktwert zum Teilungszeitpunkt – ungeachtet des Werts bei Schenkung. Für ausländische Immobilien führt das zu komplexen Doppelbewertungen; die Praxis empfiehlt eindeutige Schenkungsklauseln.



7 Kollisionsrechtliche Besonderheiten


Seit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung (VO 650/2012) können Ausländer, die in Frankreich wohnen, ihr Heimatrecht wählen (professio juris). Doch Frankreich verweigert die Anwendung ausländischen Rechts, soweit es die französische Reserve ignoriert und damit den ordre public verletzt (Cass. civ. 1ᵉʳ, 27 September 2017, Schlöndorff). Praktisch bedeutet dies:

  • Ein Deutscher in Paris kann deutsches Recht wählen;

  • Seine in Frankreich belegene Liegenschaft unterliegt dennoch der réserve;

  • Der Notar verlangt einen prélèvement compensatoire aus dem französischen Nachlass, um die Kinder zu schützen.



8 Vergleich zu Deutschland, Österreich, Schweiz

Kriterium

Frankreich

Deutschland

Österreich

Schweiz

Form der Schenkung

Notariatsakt (2 Notare)

notarielle Beurkundung (§ 518 BGB)

Notariatsakt § 1 Abs 2 SchenkG

Öff. Urkunde oder Formfreiheit

Pflichtteil / Reserve

Sachanspruch, Quote bis ¾

Geldanspruch ½

Geldanspruch ½

Geldanspruch (ab 2023 reduziert)

Rückforderung

strenger Undank, Kind Geburt

grober Undank, Verarmung

§ 948 ABGB

Verletzung schwerer Pflichten

Pacte Antizipation

renonciation anticipée

Erbvertrag

Erbvertrag

Erbvertrag (ungeschrieben)



9 Praktische Gestaltungsinstrumente


Gekreuzte Schenkung + Nießbrauch

Ehegatten schenken sich wechselseitig Immobilieneigentum, behalten den lebenslangen Nießbrauch, sichern Bewohnbarkeit und spätere ERO.


Donation-partage transgénérationnelle

Direkte Übertragung an Enkel (Art. 1078-4) – überspringt eine Generation, mindert spätere Doppelbesteuerung und vereinfacht die Reserve.


Pacte de famille – Unternehmenskontinuität

Seit 2006 können Firmenanteile im Rahmen eines Pakts an einen Erben (häufig Mitgeschäftsführer) übertragen werden, ohne alle Miterben einzubinden, sofern sie wertmäßig ausgeglichen werden.



10 Haftungs- und Widerrufsfallen


Der Widerruf wegen Undanks (Art. 955) ist binnen ein Jahr nach Entdeckung des Verhaltens (Gewalttat, schwere Verleumdung, Verweigerung lebensnotwendiger Hilfe) zu erklären. Ein nachlässiger Schenker verliert sein Rückrufrecht endgültig. Zudem unterliegen Schenkungen an pflegende Personen zehn Jahre vor Versterben einer Anfechtung durch Erben bei Missbrauch wirtschaftlicher Schwäche.



Schlussbemerkung


Die französischen Regeln zu libéralités sind komplexer als das kontinentale Durchschnittsrecht: strenge Formvorschriften, zwingende Reserve, Nachbewertung alter Schenkungen. Für deutschsprachige Erblasser bedeutet das, im Vorfeld präzise zwischen testamentarischer Freiheit und Reserveschutz abzuwägen. Nur eine Koordination von Güterstand, Donationsstrategie und letztwilligen Verfügungen gewährleistet, dass der Vermögensübertrag in Frankreich reibungslos funktioniert und spätere Kürzungsklagen vermieden werden.


Bei individuellen Fragen zu französischen Schenkungs- oder Testamentsgestaltungen unterstützen wir Sie gerne: https://www.rous-avocat.fr/contact

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