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Doppelbesteuerung zwischen Frankreich und Deutschland – ein praktischer Leitfaden (Stand 2025)


Grenzüberschreitend tätige Unternehmer, Arbeitnehmer, Pensionäre oder Kapitalanleger begegnen rasch dem Risiko, in beiden Staaten Einkommen- oder Körperschaftsteuer zahlen zu müssen. Das deutsch-französische Doppelbesteuerungsabkommen vom 21. Juli 1959 („DBA 1959“), ergänzt durch vier Revisionsprotokolle (1969, 1989, 2001 und 2015), bildet daher die erste Verteidigungslinie gegen steuerliche Doppelbelastung. Sein Wortlaut wurde zuletzt mit dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 an die OECD-BEPS-Standards angepasst und bleibt – trotz laufender Diskussionen über eine völlige Neukonzeption – das maßgebliche Regelwerk.



1. Begriffsbestimmung der steuerlichen Ansässigkeit


Artikel 4 DBA verknüpft die Ansässigkeit natürlicher Personen primär an das innerstaatliche Recht beider Staaten. In Frankreich definiert Artikel 4 B CGI den Wohnsitz über drei Alternativen (Haushalt, berufliche Haupttätigkeit, wirtschaftliche Interessen) Légifrance, während § 1 Abs. 1 EStG für Deutschland auf Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt abstellt Gesetze im Internet. Kollidieren beide Ansprüche, greift die Tie-Breaker-Kaskade des Abkommens – „ständiger Wohnsitz“, „Mittelpunkt der Lebensinteressen“, „gewöhnlicher Aufenthalt“ sowie „Staatsangehörigkeit“ – bevor letztlich die Verständigungsbehörde entscheidet.



2. Immobilienerträge (Artikel 6 DBA)


Mieteinkünfte, Verpachtungserlöse oder Veräußerungsgewinne aus in Frankreich belegenen Immobilien bleiben weiterhin in Frankreich steuerpflichtig. Das Abkommen erlaubt dem Belegenheitsstaat die volle Besteuerung, Deutschland gewährt bei inländischer Ansässigkeit nur die Anrechnungsmethode (§ 34c EStG) und bezieht die französische Steuer in den Progressionsvorbehalt ein.



3. Unternehmensgewinne & Betriebsstätten (Artikel 7 & 5 DBA)


Gewinne eines in Deutschland ansässigen Unternehmens unterliegen allein der deutschen Besteuerung, sofern es in Frankreich keine „Betriebsstätte“ unterhält. Seit den BEPS-Änderungen 2015 genügt regelmäßig schon ein „Dependent Agent“ oder ein Lager mit Auslieferungsfunktion, um eine Betriebsstätte zu begründen; reine Hilfstätigkeiten bleiben privilegiert. Deutsche Unternehmen sollten daher sorgfältig prüfen, ob ihre französische Vertriebs- oder Servicepräsenz noch als „exempt“ gilt oder bereits eine Ertragsteuerpflicht in Frankreich auslöst.



4. Dividenden (Artikel 10 DBA)


Frankreich erhebt ab 2025 grundsätzlich 12,8 % Quellensteuer auf Dividenden (nach EU-Mutter-Tochter-Richtlinie sogar 0 %, wenn Beteiligung ≥ 10 % und Haltedauer ≥ 2 J.) und gewährt teilweise die anwendbare DBA-Reduktion. Deutschland rechnet die französische Quellensteuer auf die deutsche Abgeltungsteuer (26,375 % inkl. Soli) an oder gewährt bei Dividenden an Kapitalgesellschaften eine 95-%ige Steuerfreistellung (§ 8b KStG).



5. Zinsen (Artikel 11 DBA)


Zinszahlungen zwischen unabhängigen Parteien sind seit 2015 im Quellenstaat vollständig steuerbefreit; nur der Ansässigkeitsstaat besteuert sie. Damit entfallen früher erforderliche Steueranrechnungen vollständig.



6. Lizenzgebühren (Artikel 12 DBA)Anders als bei Zinsen belässt Artikel 12 dem Quellenstaat ein beschränktes Besteuerungsrecht für Royalties (bis zu 5 %), sofern keine EU-Richtlinienausschüttung greift. Frankreich wendet für verbundene Unternehmen häufig dennoch Nullsatz-Regeln an, wenn die formalen Voraussetzungen erfüllt sind.



7. Veräußerungsgewinne (Artikel 13 DBA)


Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Vermögens (Aktien, Anteile, Kryptowährungen) besteuert primär der Ansässigkeitsstaat; bei Immobiliengesellschaften oder bei Beteiligungen ≥ 25 % innerhalb von zwölf Monaten vor Veräußerung beansprucht jedoch Frankreich (bzw. Deutschland) ein Quellenrecht. Das Zusatzabkommen 2015 verschob die Besteuerung von gesetzlichen Renten auf das Wohnsitzland und kodifizierte für bestimmte Beteiligungsverkäufe weitreichende Quellenrechte des Tätigkeitsstaats.



8. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Artikel 14 DBA)


Wer in Frankreich arbeitet, dort aber weniger als 183 Tage im Zwölf-Monats-Zeitraum verbringt, von einem nicht-französischen Arbeitgeber entlohnt wird und dessen Vergütung nicht von einer französischen Betriebsstätte getragen wird, bleibt in Deutschland steuerpflichtig. Die Einhaltung der 183-Tage-Regel ist gerade für mobile Führungskräfte entscheidend. Telearbeitstage im Wohnsitzstaat zählen nach neuem Telework-Rahmenabkommen (s. unten) dabei voll mit.



9. Grenzgängerregel und Homeoffice


Für klassische Grenzgänger im 30-km-Streifen erlaubt Anhang IV des DBA eine Besteuerung ausschließlich im Wohnsitzstaat, wenn der Arbeitnehmer täglich zurückkehrt. Seit dem auslaufenden COVID-Notkonsultationsprotokoll (30. Juni 2022) gelten Homeoffice-Tage wieder als Arbeitstage im Wohnsitzstaat; eine Überschreitung der 45-Tage-Schwelle (alte Toleranz) führt daher zur anteiligen Besteuerung in Frankreich.



10. Telearbeit – steuerliche Obergrenzen und neue Sozialversicherungsregeln


Mit Wirkung zum 1. Juli 2023 unterzeichnete Frankreich – ebenso wie Deutschland – das multilaterale Rahmenübereinkommen zur grenzüberschreitenden Telearbeit. Dieses erlaubt auf Antrag bis zu 49,99 % Homeoffice-Tage, ohne dass das Sozialversicherungsrecht wechselt. Für die Einkommensteuer existiert hingegen (Stand 2025) nur eine befristete Verständigung, nach der bis zu 34 Tage Homeoffice pro Jahr keine Änderung der bisherigen Steuerzuständigkeit auslösen – eine Anhebung, die im November 2022 vereinbart und für 2024 bestätigt wurde.



11. Öffentlicher Dienst (Artikel 19 DBA)


Vergütungen aus französischen oder deutschen Staatsdiensteinnahmen werden grundsätzlich im zahlenden Staat besteuert, es sei denn, der Empfänger besitzt die ausschließliche Staatsangehörigkeit des anderen Staates und ist dort ansässig – dann kehrt sich das Besteuerungsrecht um.



12. Pensionen und Renten (Artikel 18 DBA)


Das Zusatzabkommen 2015 verlagert seither gesetzliche Renten in das Wohnsitzland; private Betriebs- und Zusatzrenten bleiben hingegen grundsätzlich im Quellenstaat steuerbar. Für deutsche Rentner in Frankreich bedeutet das: die DRV-Altersrente unterliegt der französischen Einkommensteuer (progressiver Tarif bis 45 %), wobei Deutschland sie vollständig freistellt; Frankreich gewährt zugleich die gesetzliche 10-%-Rentenpauschale.



13. Studenten, Praktikanten, Forscher (Artikel 20–22 DBA)


Unterhalts- und Stipendienzuwendungen bleiben im Wohnsitzstaat steuerfrei, sofern sie aus öffentlichen Mitteln des anderen Vertragsstaats stammen. Forschungsstipendien deutscher Unis für in Paris ansässige Doktoranden werden daher allein dort besteuert, während Nebentätigkeiten im Labor nach Artikel 14 zu behandeln sind.



14. Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (Artikel 23 DBA)


Frankreich wendet überwiegend die Anrechnungsmethode an, Deutschland nutzt je nach Einkunftsart Anrechnung oder Freistellung. Die meisten Einkünfte, die Frankreich besteuert, werden in Deutschland freigestellt; Frankreich hingegen rechnet die deutsche Steuer an. Besonderheit: Der französische Progressionsvorbehalt („taux effectif“) führt dazu, dass selbst freigestellte Einkünfte den Steuersatz für das übrige Einkommen erhöhen.



15. Progressionsvorbehalt in Deutschland


Umgekehrt unterliegen französisch besteuerte Lohneinkünfte (§ 32b EStG) in Deutschland dem Progressionsvorbehalt und können den durchschnittlichen Steuersatz auf andere Einkünfte (z. B. Vermietung in Deutschland) erheblich anheben.



16. Informationsaustausch & BEPS-Umsetzung (Artikel 24 DBA & MLI)


Beide Staaten tauschen seit 2016 auf CRS-Basis Finanzkonteninformationen automatisch aus. Im Zuge des Multilateralen BEPS-Instruments („MLI“) wurden zudem das Missbrauchsverbot („Principal Purpose Test“) und die effektive Streitbeilegung über Schiedsverfahren implementiert; sie gelten für Zeiträume ab 1. Januar 2024.



17. Verständigungsverfahren


Steuerpflichtige können binnen drei Jahren ab Erst-Mitteilung der Steuerfestsetzung ein Verständigungsverfahren nach Artikel 25 DBA einleiten. Das ergänzende EU-Schiedsübereinkommen überträgt ab 2024 verbindliche Entscheidungsgewalt an ein unabhängiges Panel, falls binnen zwei Jahren keine Einigung erreicht wird.



18. Praxis-Spotlight: Verrechnungspreise


Deutsch-französische Konzerne sollten jährliche Master- und Local-Files nach OECD-Schema vorhalten. Frankreich verlangt ab einem Nettoumsatz von 400 Mio. € bereits eine spontane Meldung wesentlicher Transaktionen; Deutschland zieht ab 2025 nach – mit strengeren Strafen bis 100 000 €.



19. Kapitalertragsteuer-Entlastung in der Praxis


Die Rückforderung zu viel einbehaltener französischer Quellensteuer erfolgt über Formular 5000/5001. Seit Juli 2024 akzeptiert die französische Steuerverwaltung erstmals qualifizierte elektronische Signaturen, was die Bearbeitungsdauer von durchschnittlich 18 auf zwölf Monate verkürzt hat.



20. Telework & Sozialversicherung – strategische Hinweise


Unternehmen sollten ihre A1-Bescheinigungen pro Homeoffice-Periode (max. 24 Monate) frühzeitig beantragen und dokumentieren, um spätere Nachforderungen der URSSAF oder deutschen SV-Träger zu vermeiden. Der neue 49,99 %-Rahmen macht hybride Arbeitsformen attraktiver, verlangt aber saubere Zeitaufzeichnungen.



21. Umsatzsteuer-Fallen


Für grenzüberschreitende Dienstleistungsumsätze gilt grundsätzlich das Empfängerortprinzip (Art. 44 MwStSystRL). Unternehmen mit festen Niederlassungen auf beiden Seiten der Grenze müssen sorgfältig klären, welche Betriebsstätte die Leistung tatsächlich „fördert“, um Doppelbesteuerung oder Nichterhebung der Steuer zu vermeiden.



22. Quellensteuereinbehalt bei Bauleistungen


Seit 2024 wendet Frankreich einen 3-%-Einbehalt bei bestimmten Bau-Subunternehmerrechnungen mit Sitz im EU-Ausland an, sofern keine „Attestation de vigilance“ vorliegt. Deutsche Bauunternehmen sollten daher frühzeitig ihre SIRET-Registrierung und eine französische Fiskalvertretung einrichten.



23. Umgang mit Verlusten


Verluste französischer Betriebsstätten mindern in Deutschland die Bemessungsgrundlage, unterliegen jedoch einem späteren „Recapture“, sobald sie in Frankreich wirksam steuerlich genutzt werden (§ 4f EStG). Spiegelbildlich erkennt Frankreich nach Artikel 209 I bis CGI deutsche Betriebsstättenverluste nur beschränkt an.



24. Steuerplanung – vier praktische Hebel


Erstens: Holding-Struktur über eine französische „SAS“ ermöglicht vollständige Quellensteuerbefreiung auf Dividenden nach jenem Jahr, in dem die Beteiligung 12 Monate ununterbrochen 5 % erreicht hat. Zweitens: „Tantième“-Vergütung an französische Geschäftsleiter kann als Betriebsausgabe abgezogen werden, ist aber nach Artikel 15 DBA im Tätigkeitsstaat steuerpflichtig. Drittens: Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer GmbH nach Frankreich löst Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) aus, doch das DBA erlaubt eine Stundung, wenn binnen fünf Jahren keine Veräußerung erfolgt. Viertens: vermögende Privatpersonen profitieren vom französischen „Impatriate-Regime“ (Artikel 155 B CGI), dessen zehnjährige Pauschalfreibeträge sich mit der deutschen Steuerfreistellung für Auslandsbeschäftigung (wenn ≤ 183 Tage) kombinieren lassen.



25. Schlussfolgerung

Die Doppelbesteuerung deutsch-französischer Sachverhalte lässt sich vermeiden, wenn Abkommens-, EU- und nationale Vorschriften wie Zahnräder ineinandergreifen. Wer frühzeitig Wohnsitzkriterien, Betriebsstätten-Risiken, Telework-Beschränkungen und Quellensteuerpflichten analysiert, kann nicht nur Doppelbelastung verhindern, sondern oft auch substanzielle Steuererleichterungen realisieren. Das DBA 1959 bleibt dabei trotz seines Alters ein leistungsfähiges Instrument, das durch die Protokolle und BEPS-Updates an moderne Mobilitätsformen angepasst wurde. Bei komplexen Fällen empfiehlt sich gleichwohl die Einleitung eines Verständigungsverfahrens oder eine verbindliche Auskunft beider Finanzverwaltungen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten – und den finanziellen sowie zeitlichen Aufwand eines langwierigen Streits zu vermeiden.


Bei weiteren Fragen zögern Sie bitte nicht, uns unverbindlich zu kontaktieren – wir stehen Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung : https://www.rous-avocat.fr/contact

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