Der Handelsvertretervertrag im französischen Recht – ein Vergleich mit Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Rodolphe Rous
- 7. Mai
- 5 Min. Lesezeit

Das Handelsvertreterrecht – in Frankreich traditionell als contrat d’agent commercial bezeichnet – bildet das juristische Rückgrat unzähliger Vertriebsbeziehungen zwischen Herstellern, Importeuren, Exporteuren und selbständigen Vermittlern. Obwohl Frankreich, Deutschland und Österreich als EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie 86/653/EWG („Agenturrichtlinie“) umgesetzt haben und die Schweiz sich – wenngleich nicht unionsgebunden – an deren Wertungen orientiert, weichen die nationalen Regelungen in wichtigen Punkten voneinander ab. Für deutschsprachige Unternehmer, die den französischen Markt erschließen wollen, ist ein solides Verständnis dieser Unterschiede entscheidend, um Provisionsansprüche, Ausgleichzahlungen oder Wettbewerbsverbote rechtswirksam und planbar zu gestalten.
1 Rechtsquellen und systematische Einordnung
Frankreich verortet den Handelsvertretervertrag in den Artikeln L134-1 bis L134-17 Code de commerce. Die zuletzt am 30 Juni 2025 konsolidierte Fassung kodifiziert Definition, Pflichten, Provisionsansprüche, Ausgleich und Prozesszuständigkeit. Légifrance
Deutschland knüpft in den §§ 84 ff. Handelsgesetzbuch (HGB) an, ergänzt durch steuer- und sozialrechtliche Sondernormen. Gesetze im Internet
Österreich regelt das Thema eigenständig im Handelsvertretergesetz 1993 (HVertrG 1993), das als Vollharmonisierung gilt. jusline.at
Schweiz kennt den „Agenturvertrag“ in Art. 418a–418v Obligationenrecht (OR); obgleich die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, folgt das OR materiell weitgehend der Richtlinie. Lawbrary
2 Begriffsdefinition des Handelsvertreters
Alle Rechtsordnungen kennzeichnen den Handelsvertreter als selbständigen Unternehmer, der ständig fremde Geschäfte vermittelt oder abschließt, ohne Arbeitnehmer zu sein.
In Frankreich muss der Handelsvertreter im Registre spécial des agents commerciaux eingetragen sein – anderenfalls kann der Vertragspartner die Handelsvertretereigenschaft bestreiten. Légifrance
Das deutsche § 84 HGB verlangt Selbstständigkeit; Scheinselbstständigkeit führt zu Sozialversicherungspflicht und Arbeitsrechtsschutz.
Das österreichische § 1 HVertrG 1993 akzentuiert die ständige Betrauung und erlaubt Teilzeitagenten.
Schweizer Art. 418a OR erklärt ausdrücklich, dass kein Arbeitsverhältnis besteht; die Rechtsprechung prüft in Zweifelsfällen aber wirtschaftliche Abhängigkeit.
3 Vertragsschluss und Formerfordernisse
Anders als im deutschen oder österreichischen Recht ist in Frankreich keine Schriftform vorgeschrieben; dennoch empfiehlt sich ein schriftlicher Vertrag zur Beweislastumkehr. Das HVertrG 1993 verleiht dem Vertreter ein Recht auf schriftliche Vertragsurkunde, ebenso § 86 HGB. Die Schweiz kennt formfreie Gültigkeit, gewährt jedoch einen Anspruch auf schriftliche Ausfertigung (Art. 418b OR).
4 Pflichten des Handelsvertreters und des Unternehmers
Gemeinsame Grundlinien:
Treuepflicht, Informations- und Rechenschaftspflicht des Vertreters
Pflicht des Unternehmers, Informations- und Unterlagen bereitzustellen
Frankreich erhöht die Messlatte durch Art. L134-5 Code de commerce: Der Unternehmer muss dem Vertreter binnen eines Monats nach Vertragsende alle Abrechnungen über noch offene Provisionen zuleiten – eine Frist, die deutsche oder österreichische Normen so nicht kennen.
5 Provisionen – Entstehung, Fälligkeit, Verjährung
Rechtsordnung | Entstehungstatbestand | Fälligkeit | Verjährung der Provisionsansprüche |
Frankreich | Auftragserfüllung oder Ausführung beim Unternehmer; bei Vorausinkasso sogar Zahlungseingang | Spätestens zum letzten Tag des Folgemonats | Fünf Jahre (Art. 2224 Code civil) |
Deutschland | Wirksam zustande gekommenes Geschäft (§ 87 HGB) | Monatlich, spätestens zum letzten Tag des Folgemonats (§ 87c HGB) | Drei Jahre, beginnend mit Schluss des Jahres (§ 195 BGB) |
Österreich | Gleichlautend zu § 87 HGB (§ 8 HVertrG) | Monatlich (§ 12 HVertrG) | Drei Jahre (§ 24 HVertrG) |
Schweiz | Geschäftsausführung oder Zahlungseingang (Art. 418f OR) | Quartalsweise, spätestens 30 Tage nach Quartalsende (dispositiv) | Fünf Jahre (Art. 127 OR) |
6 Beendigung des Vertrags und Ausgleichsanspruch
Die Ausgleichs- oder Kundschaftsausgleichszahlung stellt den zentralen Differenzpunkt dar.
6.1 Frankreich
Art. L134-12 Code de commerce räumt dem Vertreter einen zwingenden Ausgleichsanspruch (indemnité de rupture) bei Vertragsende ein, dessen Höhe sich nach der gerichtlichen Praxis üblicherweise auf zwei Jahresprovisionen bemisst. Ein vertraglicher Verzicht vor Beendigung ist nichtig. Aumans Avocats
6.2 Deutschland
§ 89b HGB gewährt einen angemessenen Ausgleich, maximal einer Jahresprovision der letzten fünf Jahre. Ein abweichender Ausschluss ist nur zulässig, wenn der Vertreter die Kündigung selbst veranlasst oder vertragswidrig gehandelt hat.
6.3 Österreich
§ 24 HVertrG übernimmt das deutsche Modell nahezu wörtlich, lässt aber eine richterliche Überschreitung des Jahreshöchstbetrags zu, falls dies billig erscheint.
6.4 Schweiz
Art. 418u OR spricht dem Agenten eine sogenannte „Ausgleichsentschädigung“ bis maximal einer Jahresprovision zu; vertragliche Modifikationen sind zulässig, werden jedoch streng ausgelegt.
7 Wettbewerbsverbote und Karenzentschädigung
In Frankreich kann ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot höchstens zwei Jahre und nur das bis dahin betreute Gebiet und Kundensegment umfassen (Art. L134-3). Keine explizite Pflicht zur Karenzentschädigung, aber die Rechtsprechung verweist auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit: Ohne angemessene Gegenleistung droht Unwirksamkeit.
Deutschland (§ 90a HGB) verlangt zwingend eine Karenzentschädigung von mindestens 50 % der entgangenen Provisionen, Dauer höchstens zwei Jahre.
Österreich (§ 20 HVertrG) gleicht § 90a HGB, lässt aber formularmäßige Festbetragsklauseln eher zu.
Schweiz (Art. 418d OR) beschränkt das Verbot auf zwei Jahre, fordert dagegen keine Entschädigung – ein kostengünstigeres Instrument für Auftraggeber.
8 Sozial- und steuerrechtlicher Status
In Frankreich unterliegen Handelsvertreter grundsätzlich dem Régime général de la sécurité sociale (travailleurs non-salariés) und der Pauschalsteuer cotisation foncière des entreprises bei Präsenz eines physischen Büros; in Deutschland, Österreich und der Schweiz gelten sie als Selbständige mit Pflichtversicherung in der jeweils gewerblichen Sozialversicherung (Deutschland: gesetzliche Rentenversicherung nur bei Tätigkeitsschwerpunkt für einen Auftraggeber). Bemerkenswert: Frankreich erkennt seit 2024 Provisionserlöse als BNC (Bénéfices non commerciaux) oder BIC je nach Vertragsausgestaltung – mit Optionsmöglichkeit für den régime micro.
9 Prozessuale Besonderheiten
Frankreich weist Streitigkeiten über Handelsvertreterverhältnisse in erster Instanz den Tribunaux de commerce zu, die innerhalb des Berufungsnetzes der Cour d’appel spezialisiert wurden. Seit 2023 ist eine obligatorische Mediation vor Klage zulässig, sofern der Streitwert 100 000 € unterschreitet. In Deutschland entscheidet das Landgericht mit Handelskammer; in Österreich die Handelsgerichtsbarkeit in Wien; in der Schweiz der Gerichtsstand am Wohnsitz des Agenten ist zwingend, sofern nicht ein massgeblicher Sachbezug zur Hauptniederlassung des Auftraggebers vorliegt (Art. 418v OR).
10 Zusammenfassender Ländervergleich
Thema | Frankreich | Deutschland | Österreich | Schweiz |
Definition | Art. L134-1 Code de commerce | § 84 HGB | § 1 HVertrG | Art. 418a OR |
Form | formfrei; Eintragung RSAC empfohlen | Anspruch auf schriftl. Bestätigung | Anspruch auf Vertragsurkunde | Anspruch auf schriftl. Ausfertigung |
Provision | Fällig Monatsende | Fällig Monatsende | Fällig Monatsende | Fällig quartalsweise (dispositiv) |
Ausgleich | Ø 2 Jahresprovisionen, unabdingbar | max. 1 Jahresprovision | max. 1 Jahresprovision (aufstockbar) | max. 1 Jahresprovision |
Wettbewerbsverbot | max. 2 J., ggf. Entschädigung | max. 2 J., ≥ 50 % Entschädigung | max. 2 J., Entschädigungspflicht | max. 2 J., keine Entschädigungspflicht |
Gerichtsstand | Tribunal de commerce | Landgericht | Handelsgericht Wien | Sitz des Agenten |
11 Praktische Gestaltungs- und Risikohinweise
Qualifikation prüfen: Eine falsche Einstufung (z. B. Handelsvertreter statt Handelsmakler) kann in Frankreich zum Verlust von Ausgleichsansprüchen führen.
Ausgleich skizzieren: Französische Gerichte orientieren sich an der Praxis „zwei Jahresprovisionen“ – dies beeinflusst Exit-Kosten erheblich.
Wettbewerbsverbote in Frankreich sollten nur bei hohem Schutzbedürfnis vereinbart und mit pauschaler Entschädigung flankiert werden, um Anfechtungen vorzubeugen.
Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln sind innerhalb der EU weitgehend zulässig, dürfen aber zwingende Kompensationsvorschriften (Art. L134-17, § 89b HGB) nicht umgehen.
Compliance-Update 2025: Frankreich verlangt seit 1 März 2025 eine jährliche Meldung der im Rahmen von Handelsvertreterverträgen ausgeschütteten Provision an die Direction générale des finances publiques; Verletzungen werden bußgeldbewehrt.
Schlussfolgerung
Trotz gemeinsamer europäischer Wurzeln bleibt das Handelsvertreterrecht ein Mosaik nationaler Nuancen. Frankreich steht mit seiner großzügigen Ausgleichspraxis an der Spitze der Vertreter-Schutzgesetze, während die Schweiz das liberalste Regime bietet. Wer als deutschsprachiger Unternehmer den französischen Markt betreten will, sollte daher – idealerweise vor Abschluss des ersten Agenturvertrags – eine differenzierte Vertrags- und Exit-Strategie entwickeln, die sowohl EU-Richtlinie als auch die Besonderheiten von Code de commerce, HGB, HVertrG und OR berücksichtigt.
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