Das französische Erbrecht – systematische Einführung für deutschsprachige Leser
- Rodolphe Rous
- 7. Aug.
- 5 Min. Lesezeit

1 Historischer Überblick und heutige Grundstruktur
Seit dem Code civil von 1804 gilt in Frankreich eine doppelte Leitidee: Einerseits soll das Vermögen des Verstorbenen möglichst rasch und unkompliziert auf seine Erben übergehen; andererseits verpflichtet der Staat den Erblasser, bestimmten nahen Angehörigen einen gesetzlich geschützten Mindestanteil zu hinterlassen. Dieser „soziale Auftrag“ spiegelt sich in der bis heute geltenden réserve héréditaire wider – einem zwingenden Anteil, der weder durch Testament noch durch Schenkungen zu Lebzeiten vollständig entzogen werden kann. In Deutschland wurde die Pflichtteilsquote schon 1900 eingeführt, in Österreich existiert sie seit 1811, in der Schweiz seit 1912; doch nur Frankreich hält bis 2025 unbeirrt an einer verhältnismäßig hohen Reservatsquote fest, weshalb gerade deutschsprachige Immobilieneigentümer an der Côte d’Azur oder im Elsass die französischen Besonderheiten genau kennen müssen.
2 Gesetzliche Erbfolge – von der Linie bis zum Elternreserve
Nach Art. 734 ff. Code civil wird die gesetzliche Erbfolge in Ordnungen und Rängen gegliedert. Erst erhalten Kinder und ihre Abkömmlinge, danach Eltern und Geschwister, sodann Großeltern und so fort. Stirbt der Erblasser ohne Nachkommen, gelangt eine Besonderheit zum Tragen: Eltern erben jedes Mal einen Reservatsanteil von je ¼, während der überlebende Ehepartner zusätzlich konkrete Nießbrauchrechte (usufruit) an der Wohnung des Paares erhält. Diese Elternreserve wurde 2001 im Zuge einer großen Reform abgeschafft, dann 2006 teilweise reaktiviert und 2021 modifiziert – eine Wechselhaftigkeit, die im deutschen Recht (wo Eltern pflichtteilsberechtigt sind, aber keinen eigenen Sonderstatus haben) unbekannt ist.
3 Die réserve héréditaire und die quotité disponible
Die strafrechtlich geschützte réserve sichert Kindern oder, deren Fehlen vorausgesetzt, den Eltern einen unantastbaren Vermögensblock:
Ein einziges Kind erhält ½ des Nachlasses als Reserve,
zwei Kinder teilen sich ⅔,
drei und mehr Kinder teilen sich ¾.
Die frei verfügbare Quote, die quotité disponible, beträgt folglich zwischen ¼ und ½ des Nachlassvermögens. Im deutschen und österreichischen Recht ist die Testierfreiheit erheblich größer, da die Pflichtteilsquote nur einen reinen Geldanspruch von jeweils ½ des gesetzlichen Erbteils gewährt; in Frankreich dagegen entsteht ein Sachanspruch auf Übertragung von Bruchteilen, was komplexe Teilungs- und Bewertungsverfahren auslöst.
Seit dem Gesetz vom 23. Juni 2006 kann der überlebende Ehegatte – sofern gemeinsame Kinder vorhanden – zwischen Nießbrauch am gesamten Nachlass oder vollem Eigentum an der quotité disponible wählen. Diese Option erfordert keine ausdrückliche Erklärung im Testament, genügt aber, um die häufigste deutsch-französische Erbschaftssituation (Deutscher Ehemann, französisches Feriendomizil, gemeinsames Kind) erheblich zu verkomplizieren.
4 Testamentsformen und deren Formvorschriften
Das französische Recht erlaubt drei Hauptformen:
Holographisches Testament (testament olographe) – vollständig handschriftlich, datiert und signiert; keine notarielle Mitwirkung.
Öffentliches Testament (testament authentique) – vor zwei Notaren oder einem Notar und zwei Zeugen erklärt, sodann in das zentrale Testamentsregister FCDDV eingetragen.
Geheimtestament (testament mystique) – vom Erblasser verschlossen übergeben, mit notarieller Bescheinigung.
Für in Deutschland gebräuchliche gemeinschaftliche Ehegattentestamente bleibt es problematisch: Frankreich erkennt das Berliner Testament zwar an, verweist inhaltlich aber auf die Schranken der réserve, so dass eine sog. Strafklausel (clause de tontine) oft ins Leere läuft.
5 Schenkungen unter Lebenden (libéralités) und die Anrechnung auf die Reserve
Weil die réserve nicht erst post mortem wirkt, sondern bereits im Zeitpunkt der Schenkung „mitgedacht“ wird, prüft der Notar im Erbfall jede Zuwendung der letzten 15 Jahre auf ihr Reservatsäquivalent. Übersteigt der Gesamtwert aller Schenkungen die freie Quote, steht den Reservatenkeln ein reintegrationsanspruch (action en réduction) zu. Die Bewertung erfolgt zur Zeit des Erbfalls, nicht zum Schenkungszeitpunkt, was bei Wertsteigerung französischer Immobilien zu erheblichen Ausgleichszahlungen führen kann.
6 Güterstand und Ehevertrag – Grundfragen vorab klären
Im französischen Recht gilt der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft (régime légal de la communauté réduite aux acquêts). Alle während der Ehe erworbenen Güter bilden ein hälftiges Gemeinschaftsvermögen. Stirbt ein Ehepartner, wird dieses Vermögen zunächst hälftig aufgeteilt (Vorausauseinandersetzung), erst dann erfolgt die Erbteilung.
Viele deutsch-französische Paare entscheiden sich für den Güterstand der Gütertrennung (séparation de biens), um eine saubere Vermögenszuordnung zu behalten. Allerdings verlangt das französische Internationale Privatrecht seit 2019 eine schriftliche Rechtswahl vor dem Trauzeugen, will man deutsches Güterrecht anwenden. Eheverträge (contrats de mariage) können vor jedem Notar in Frankreich oder einem Konsularbeamten geschlossen werden.
7 Erbfallabwicklung – Rolle des Notars, Fristen und Haftungsrisiken
Der Erbfall läuft zwingend über einen Notar, sobald Immobilien beteiligt sind oder der Nachlass 5 000 € übersteigt. Der Notar prüft Testamente im FCDDV, lässt ein Erbschaftsinventar (inventaire) erstellen, fordert die Gläubiger zur Anmeldung ihrer Forderungen auf und erstellt eine déclaration de succession für das Finanzamt.
Innerhalb von sechs Monaten nach dem Tod bei Inlandsvermögen – zwölf Monaten bei Auslandssachverhalten – muss die Erklärung eingereicht werden. Wer fristgerecht verzichtet (renonciation), entgeht der Erbenhaftung; wer annimmt, haftet unbeschränkt. Eine Annahme unter Vorbehalt (acceptation à concurrence de l’actif net) ist möglich, aber administrativ aufwändig.
8 Gerichtliche Teilungsklage und die Reform von 2025
Bleibt eine Erbengemeinschaft (indivision) bestehen und einige Miterben blockieren die Verwertung, kann jeder Beteiligte beim Gericht die Auflösung beantragen. Der im März 2025 eingebrachte Reformvorschlag will das Verfahren straffen und die gerichtliche Teilungsanordnung erleichtern: Freihändige Verkäufe sollen Vorrang haben, und das Vorkaufsrecht der Miterben wird stärker zeitlich begrenzt. Actu-Juridique
9 Internationales Privatrecht – VO (EU) 650/2012 und nationales Korrektiv
Seit dem 17. August 2015 unterliegt die gesamte Erbschaft grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Deutsche, Österreicher oder Schweizer, die dauerhaft in Frankreich leben, fallen also voll in das französische Erbrecht, einschließlich réserve.
Allerdings erlaubt Art. 22 VO 650/2012 eine Rechtswahl zugunsten der Staatsangehörigkeit. Damit kann ein Deutscher sein zukünftiges Erbe deutschem Recht unterstellen und die französische Reserve neutralisieren – aber nur bis zu dem Teil, der in Frankreich belegen ist, denn Frankreich wendet, gestützt auf ordre-public-Überlegungen, weiterhin seine Mindestschutzregeln an. Das Werkzeug hierfür ist der prélèvement compensatoire: Sind französische Liegenschaften vom Testament ausgeschlossen, können die französischen Reservatserben eine Ausgleichszahlung aus dem in Frankreich belegenen Vermögen fordern.
10 Besonderheiten für Schweizer und Österreicher
Die Schweiz ist nicht Mitglied der Erbrechtsverordnung, erkennt aber französische Nachlasszeugnisse an, sofern sie zu einer rechtskräftigen Nachlassabwicklung führen. Schweizer Erblasser mit Zweitwohnsitz in Frankreich sollten ebenfalls eine ausdrückliche Rechtswahl treffen; dabei ist zu beachten, dass das schweizerische Pflichtteilsrecht 2023 reformiert wurde und nun geringere Quoten vorsieht.
Österreich setzt die VO 650/2012 um, jedoch mit einer Besonderheit: Die in Österreich zentrale Funktion des Gerichtskommissärs (Notar in gerichtlichem Auftrag) bleibt erhalten, sodass ein österreichisches Todesfallverfahren auch Immobilien in Frankreich umfassen kann. Dennoch verlangt das französische Grundbuchamt stets eine notarielle attestation immobilière aus Frankreich.
11 Praxisstrategien für deutschsprachige Eigentümer in Frankreich
Wer Vermögen in Frankreich hält und seine Testierfreiheit maximieren möchte, sollte
vor Zuzug eine Rechtswahl zugunsten der eigenen Staatsangehörigkeit treffen;
Gütertrennung vereinbaren, um den Nachlass klar vom Ehegattenvermögen zu trennen;
Lebzeitige Schenkungen so strukturieren, dass sie den 15-Jahres-Rückrechnungszeitraum nicht verletzen;
Immobilien durch Gesellschaften (SCI, SARL de famille) halten, um Flexibilität bei der Nachfolge zu gewinnen;
Erbverträge (in Frankreich nur begrenzt zulässig) nach deutschem oder schweizerischem Recht abschließen und in Frankreich mittels notarieller Erklärung hinterlegen.
Schluss
Das französische Erbrecht bietet einen vielschichtigen Schutz der Familie, kombiniert mit detaillierten Formvorschriften und – im internationalen Kontext – komplexen Kollisionsregeln. Für deutschsprachige Erblasser lautet der Schlüssel zum Erfolg: frühe Planung, eindeutige Rechtswahl, sorgfältige Abstimmung von Testament, Ehevertrag und Schenkungsstrategie. Nur so lässt sich verhindern, dass die französische réserve héréditaire unvorhergesehen eingreift und den letzten Willen beschneidet.
Im nächsten Beitrag erläutern wir im Detail die französischen Erbschaft- und Schenkungsteuern 2025, einschließlich der neuesten Freibeträge, Exzonen für energetische Renovierungen und familieninterne Grundstücksschenkungen.
Bei individuellen Fragen stehen wir gerne zur Verfügung: https://www.rous-avocat.fr/contact




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